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Gesundheit und Politik

Kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung: Es fehlt an allen Ecken und Enden

Wien - „Wir brauchen Gleichbehandlung – der Zugang zur psychischen Versorgung ist genauso wichtig wie jener zur körperlichen …Wartefristen verkürzen, Zugang verbessern und ein besseres Ineinandergreifen der Angebote sind die ersten Ziele.“ Diese Ankündigungen stammen vom ehemaligen Gesundheitsminister Rudi Anschober, der im September 2020 die unterschiedlichsten Stakeholder zum Runden Tisch geladen hatte, um die psychosoziale Gesundheitsversorgung in Österreich zu verbessern. Passiert ist inzwischen nicht viel, wenn man der Einschätzung der ÖGKJP glaubt. Im Gegenteil: Nach mehr als zwei Jahren Pandemie zeigt der Blick quer durchs Land: Es fehlt an allen Ecken und Enden. „Eine flächendeckende Versorgung ist in Österreich nicht möglich“, fasst Kathrin Sevecke, Präsidentin der ÖGKJP, bei einem Pressetermin zusammen.

In Zahlen liest sich der Versorgungsmangel – ob im stationären oder niedergelassenen Bereich – wie folgt: Die aktuell zwölf kinder -und jugendpsychiatrischen Abteilungen in Österreich waren schon vor der Pandemie gefordert. Schon damals seien lediglich 50 Prozent der benötigten Krankenhausbetten zur Verfügung gestanden. „Auf Basis einer aktuellen Abfrage der ÖGKJP im Juni 2022 gibt es in Österreich 401 vollstationäre und 138 Tagesklinikplätze. Im Vergleich dazu stellt Deutschland 6699 vollstationäre Betten und 3895 Tagesklinikbetten zur Verfügung“, rechnet Sevecke, auch Leiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universitätsklinik Innsbruck/Hall, vor. Auf Österreich umgelegt würde das eine Anzahl von 700 vollstationären Betten und 410 Tagesklinikplätze bedeuten.

Mangel an ausgebildeten Fachärzt*innen

Im niedergelassenen Bereich ist die Lage nicht weniger angespannt. Der Bedarf geht in Richtung 100 Kassenstellen, aktuell gibt es 37 – wobei nicht alle besetzt sind. Denn: Was die Situation zusätzlich verschärft, ist der Mangel an ausgebildeten Fachärzt*innen. Helmut Krönke, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit Praxis in Wien und Bundesfachgruppen-Obmann in der Österreichischen Ärztekammer: „Wir bräuchten dreimal so viele Kassenstellen und Menschen, die dort arbeiten.“ Nachsatz: „Die müssen aber erst ausgebildet werden.“

Ein Ansatz dazu wäre aus seiner Sicht die Einführung einer geförderten Lehrpraxis, wie es sie im Bereich der Allgemeinmedizin gibt. Krönke: „So könnten auch die niedergelassenen Fachärzt*innen junge Mediziner*innen ausbilden und rascher zu einer höheren Zahl an Kinder- und Jugendpsychiater*innen beitragen.“ Gleichzeitig würden die jungen Kollegen helfen, mehr Patienten im ambulanten Bereich zu versorgen.

1,7 Millionen Kinder und Jugendliche betroffen

Sevecke geht davon aus, dass „beinahe jedes dritte Kind und jeder dritte Jugendliche von psychischen Belastungen betroffen ist“. Österreichweit wären das rund 1,7 Millionen. Der Bogen an nötiger Unterstützung spannt sich dabei von Beratung über ambulante Versorgung bis hin zu stationärer Therapie.

Um dem Versorgungsmangel gegenzusteuern, formuliert die ÖGKJP neuerlich einen Forderungskatalog an die Politik. Neben den genannten Lehrpraxen spricht man sich für Förderungen zur Anstellung von Fachpersonal in den Ordinationen aus den Bereichen Krankenpflege, Sozialarbeit oder Sozialpädagogik aus. Außerdem könnte die Öffnung des Additivfaches für eine Zeitdauer von 6 Jahren (2 Ausbildungsperioden à 3 Jahre) helfen, Kollegen aus der Erwachsenenpsychiatrie und der Pädiatrie die Erlangung des Facharztstatus zu erleichtern. Last but not least wünscht man sich einen politisch übergeordneten Koordinator, der zwischen den Ländern, der Sozialversicherung und den Ministerien für eine abgestimmte Versorgung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sorgt.


Autor:
Evelyn Holley-Spieß

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