Lebensstilprävention beginnt im Kleinkindalter
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„Machen wir unsere Kinder krank? Wer oder was hindert unsere Kinder an regelmäßiger Bewegung?“ An diesen Fragen entzündete sich eine Diskussion, in die neben internistischer Expertise Erfahrungen aus der Stoffwechselrehabilitation, der Sportmedizin und der Stadt- und Mobilitätsplanung einflossen. Eine Nachlese.
Die Diabetes Initiative Österreich (DIÖ), seit dem heurigen Jahr Herausgeberin von JATROS Diabetologie & Endokrinologie, hat sich zum Ziel gesetzt, das Bewusstsein für die Volkskrankheit Diabetes auf allen Ebenen – von den Betroffenen und den Angehörigen der Gesundheitsberufe bis hin zu Fachexperten, öffentlichen Institutionen und Politik – zu stärken.
Vor einigen Jahren hat die Initiative die Gesprächsrunde „Diabetes im Zentrum“ ins Leben gerufen: Mehrmals jährlich werden Vertreter aller Lebensbereiche, die mit Diabetes mellitus zu tun haben, zu einer moderierten Diskussion in die Wiener Innenstadt geladen, um aktuelle Themen im Zusammenhang mit Diabetes mellitus zu diskutieren, Problemstellungen zu definieren und einzugrenzen und in der Folge Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Gleichzeitig wird den Diskussionsteilnehmern die Möglichkeit geboten, sich in einem informellen Rahmen auszutauschen und ein besseres Verständnis für die Positionen der verschiedenen Stakeholder im Gesundheitswesen zu entwickeln.
Die Ergebnisse der Diskussionsrunden werden dokumentiert und sind auf der Internetseite der DIÖ abrufbar.1
Beim ersten „Diabetes im Zentrum“ 2020, nach einer mehrmonatigen, Covid-19-bedingten Pause, traf eine kleine interdisziplinäre Runde (Abb. 1) zusammen und diskutierte die Frage, warum sich Kinder und Jugendliche zunehmend weniger bewegen, welche Auswirkungen das auf die Gesundheit im Erwachsenenalter hat und welche Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren für diese nicht nur in Österreich zu beobachtende Entwicklung verantwortlich sind.
Abb. 1: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von „Diabetes im Zentrum“ am 31. August 2020: Prim. Dr. Claudia Francesconi, Sonderkrankenanstalt Rehabilitationszentrum Alland, Generalsekretärin DIÖ; Prof Hans Holdhaus, Health Promotion & Performance, Bad Tatzmannsdorf; Prim. Dr. Christian Schelkshorn, Landesklinikum Korneuburg-Stockerau; DI Dr. Wiebke Unbehaun, Fachbereich Verkehrswesen und Gender, tbw Research, Wien; Univ.-Prof. Dr. Thomas C. Wascher, Hanusch-Krankenhaus Wien, Präsident DIÖ; Moderation: Karin Duderstadt
Beängstigende Entwicklung
Nach Erhebungen der Childhood Obesity Surveillance Initiative (COSI) der Weltgesundheitsorganisation, an der sich auch Österreich beteiligt hat, waren 2017 zwischen 20 und 30% der österreichischen Schulkinder übergewichtig oder adipös.2 Medizinische und sportwissenschaftliche Untersuchungen zeigen darüber hinaus eine Zunahme von Haltungsschäden und gleichzeitig einen Rückgang der Geschicklichkeit und der motorischen Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen.3 In weiterer Folge werden aus unbewegten, übergewichtigen Kindern in vielen Fällen noch unbewegtere, übergewichtigere Erwachsene mit einem hohen Risiko für bleibende Schäden des Bewegungsapparats und kardiometabolische Erkrankungen, darunter Typ-2-Diabetes.
Ursachen der zunehmenden Unbeweglichkeit
Das im Zusammenhang mit der Übergewichtigkeit und der Prävalenz von lebensstilassoziierten Erkrankungen immer wieder thematisierte und im COSI-Bericht bestätigte Ost-West-Gefälle ist in vielen Bereichen Ausdruck eines Stadt-Land-Gefälles. Es gibt in urbanen Ballungsräumen weniger Freiräume und infolgeder engmaschig verfügbaren Transportangebote – von öffentlichen Verkehrsmitteln bis zu Rolltreppen und Aufzügen – auch weniger Notwendigkeit, sich im Alltag körperlich zu bewegen. Weitere Einflussfaktoren sind die stärker verbreitete Institutionalisierung der Betreuung, vielfach begrenzte räumliche Ressourcen, Sicherheitsaspekte, die vor allem jüngere Kinder daran hindern, sich im öffentlichen Raum unbeaufsichtigt frei zu bewegen, sowie soziale Aspekte, wenn der Zugang zu vielen Sport- oder Freizeitangeboten mit Kosten verbunden ist. Aber auch in vielen ländlichen Regionen hat die Notwendigkeit für Kinder und Jugendliche, sich im Alltag – beispielsweise auf dem Schulweg – körperlich zu bewegen, in den vergangenen Jahrzehnten stark abgenommen.
Für Stadt und Land gilt, dass traditionelle Freizeitaktivitäten (Ballspiele und sonstige Spiele im Freien) zunehmend mit schulischen und außerschulischen Verpflichtungen und mit den vielen neuen Möglichkeiten des digitalen Medienkonsums (Gaming, Social Media etc.) im Wettbewerb stehen. Diese Entwicklung ist letztlich auch Folge des Wandels von einer primär durch körperliche Arbeit geprägten Gesellschaft hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft, in der Bildung und berufliche Qualifikationen für den sozialen Erfolg essenziell sind, körperliche Leistungsfähigkeit hingegen tendenziell weniger wichtig wird.
In den Bildungseinrichtungen (Kindergarten, Schule), die immer mehr Betreuungsaufgaben von der Familie übernehmen, wird der natürliche Bewegungsdrang in vielen Bereichen eher gebremst als gefördert. Gründe sind unter anderem räumliche und personelle Beschränkungen, aber auch das im schulischen Bereich noch immer geltende Paradigma, dass Schülerinnen und Schüler dem Unterricht ruhig sitzend folgen sollen. Im Kindergarten haben Untersuchungen des Instituts für Sportwissenschaftliche Beratung (IMBS) und der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse gezeigt, dass das Ausmaß der körperlichen Bewegung, das den Kindern ermöglicht wird, weniger von der Infrastruktur als von der Bewegungsaffinität des pädagogischen Personals abhängt (somit haben Kindergartenkinder im ländlichen Raum auch nicht zwingend mehr Bewegungsmöglichkeiten als in der Stadt). Verständlich wird das bewegungsrestriktive Verhalten auch durch eine kontraproduktive Rechtslage, die das Betreuungspersonal bei Verletzungen mit dem Vorwurf der mangelnden Aufsichtspflicht bedroht (wie im Fall eines steirischen Kindergartens, der zur Zahlung von 7.000 Euro verurteilt wurde, weil ein Kind beim Spielen mit einem anderen Kind zusammengestoßen ist und sich dabei am Unterarm verletzt hat).
Lösungsansätze
Kinder sind von Natur aus aktiv und bewegungsfreudig. Sie haben aber auch, jedenfalls bis zur Pubertät, eine angeborene Fähigkeit zur Selbststeuerung, die sie vor Überbelastung schützt.4 Die Sorgen vieler Eltern, ihr Kind könnte sich beim Herumtollen übernehmen oder verletzen, sind bei gesunden Kindern in aller Regel unbegründet. Vielmehr ist körperliche Bewegung eine wichtige Voraussetzung für die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern. Dieses trivial anmutende Wissen kann bei vielen Eltern nicht vorausgesetzt werden. Entsprechende Aufklärung – vom persönlichen Gespräch bis hin zu öffentlichen Informationskampagnen oder der vor einigen Jahren geplanten, aber nie realisierten Aufnahme eines „Bewegungsseminars für Eltern“ imRahmen des Mutter-Kind-Passes – wären daher entscheidende Schritte zu einer Verbesserung der Situation.
Im schulischen Bereich, in dem bisher alle Pläne zur Ausweitung des Bewegungsunterrichts (Stichwort „tägliche Turnstunde“) gescheitert sind, könnte der Bewegungsmangel durch regelmäßige, in den allgemeinen Unterricht integrierte Turneinheiten ein Stück weit ausgeglichen werden. Untersuchungen zeigen, dass die dadurch „verlorene“ Unterrichtszeit durch die verbesserte Konzentration und Aufnahmefähigkeit der Kinder mehr als kompensiert werden kann.5
Weil motorische Defizite meistens schon vor dem Schuleintritt, in der frühkindlichen Entwicklungsphase, ihren Ausgang nehmen, kommt der vorschulischen Betreuung besondere Bedeutung zu. Das unter Federführung von Prof. Hans Holdhaus mit einem Pilotkindergarten in St. Veit an der Glan gestartete Projekt „bewegte kids“5, 6 ergab durch gezielte Bewegungsförderung bzw. das Eröffnen von Bewegungsfreiräumen, bei unwesentlich höheren personellen und räumlichen Ressourcen, eine um 70% bessere motorische Entwicklung im Vergleich zu einem konventionellen „Kontrollkindergarten“. Mittlerweile wird das Konzept in Kindergärten unter anderem in Niederösterreich und in Vorarlberg umgesetzt.
Bericht:
Dr. Albert Brugger
Quelle:
Diabetes im Zentrum 1/2020 zum Thema „Machen wir unsere Kinder krank? – Wer oder was hindert unsere Kinder an regelmäßiger Bewegung?“, Wien, 31. August 2020. Die ausführliche Zusammenfassung der Veranstaltung wird auf der Internetseite der DIÖ veröffentlicht.
Literatur:
1
https://www.diabetesinitiative.at/aktuelles.html
2
https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Kinder-und-Jugendgesundheit/COSI.html
3 Institut für Sportwissenschaftliche Beratung (IMBS): Studie zur Sportlichkeit und Beweglichkeit von Kindern an österreichischen Volksschulen, 1999 4 Weinbeck J: Sportbiologie. Spitta Verlag 2009 5 Holdhaus H, Nord J: Projekt „Sport macht ABC“. IMBS Leistungsbericht 2014 6
https://holdhausnord.at/bewegtekids/bewegte-kids-kindergarten-fortbildung/
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