
Aids 2020: Highlights
IKM - Infektionsmedizin<br>Steiermärkische Krankenanstalten GmbH<br>Graz<br> E-Mail: bernhard.haas@kages.at
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Eine Auswahl der für mich interessantesten Präsentationen während dieser außergewöhnlichen Konferenz, die wegen der Coronavirus-Pandemie erstmals ausschließlich virtuell stattfand: Ob eine Zunahme des Körpergewichts nach Etablierung einer antiretroviralen Therapie (ART) auf eine Reduktion der chronischen Inflammation zurückzuführen ist („Return to health“-Phänomen) oder ob dies eine Nebenwirkung mancher antiretroviraler Substanzen oder auch Substanzkombinationen ist, wird momentan heftig diskutiert und war natürlich Thema bei dieser Konferenz.
ADVANCE: virologisches Ansprechen zu Woche 96 und Update zur Gewichtszunahme
Zuerst ein paar Fakten, die helfen, das Studiendesign dieser Open-label-Phase-III- Studie, durchgeführt in Südafrika, nachvollziehen zu können: Die Guidelines der WHO und des Department of Health and Human Services (DHHS) der USA empfehlen, bei Beginn einer antiretroviralen Therapie (ART) ein Regime zu verwenden, welches Dolutegravir (DTG) oder einen anderen Integrase-Strang-Transfer-Inhibitor (INSTI) enthält. Gemäß den Leitlinien der International Antiviral Society (IAS-USA) wird empfohlen, bei der Erstlinientherapie im Backbone Tenofoviralafenamid (TAF) statt Tenofovirdisoproxil (TDF) anzuwenden. Die hohen Raten der übertragenen Medikamentenresistenzen bei HIV, vor allem bei nichtnukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI), waren mit ein Grund für die Änderung der WHO-Guidelines weg von Efavirenz (EFV) als First-Line-Therapeutikum ab Juni 2018. In Südafrika z.B. beträgt die Rate der übertragenen NNRTI-Resistenzen 5 bis 15%, und das bei nicht breit verfügbaren HIV-Baseline-Resistenztestungen vor Therapiebeginn.
Drei Open-Label-Arme
Dr. Simiso Sokhela von der Universität Witwatersrand präsentierte nun die Ergebnisse der ADVANCE-Studie im Rahmen von Aids 2020.1 Angelegt als Nichtunterlegenheitsstudie mit „noninferiority margin“ –10% über einen im Vorhinein festgelegten Auswertungszeitraum von 96 Wochen war der primäre Studienendpunkt die Wirksamkeit, gezeigt durch eine HIV-1-Viruslast <50 Kopien/ml zu Woche 96 in der „Intention to treat“(ITT)-Population. Weitere, sekundäre Endpunkte waren virologische Resistenz, Sicherheit und Gewichtszunahme. In den drei Behandlungsarmen mit je 351 Patienten wurde DTG (Tivicay®)+FTC/TAF (Descovy®) mit DTG+FTC/TDF (Truvada®) und EFV/FTC/TDF (Atripla®) verglichen.
Deutlich mehr Frauen
Hervorzuheben bei den Baseline-Charakteristika der Studienpopulation sind folgende Punkte: 99,5% sind afrikanischer Abstammung und 60% sind Frauen. Dieser hohe Frauenanteil ist in HIV-Studien unüblich und wird natürlich sehr begrüßt. Das mediane Alter betrug 32 Jahre, das mediane Gewicht 66kg (BMI=24,1), die mediane CD4-Zellzahl belief sich auf 335 Zellen/mm3 und ca. 22% der Patienten hatten eine HIV-1-Viruslast von >100000Kopien/ml.
Virologische Suppressionsraten
Die Ansprechraten, d.h. HIV-1-RNA -Kopien von <50 Kopien/ml in der ITT-Analyse, zeigten keine signifikanten Unterschiede. Sie betrugen 79% unter DTG+FTC/TAF respektive 78% unter DTG+FTC/TDF und 74% unter EFV/FTC/TDF, wobei im letztgenannten Arm etwas mehr Resistenzen gegenüber NRTI und NNRTI entstanden.
Körpergewichtszunahme
Die Zunahme des Körpergewichts war – vor allem bei Frauen – unter DTG+FTC/TAF deutlich höher. Hier wurde schon ein Update der Gewichtsauswertungen zu Woche 144 vorgestellt.In der ADVANCE-Studie zeigte sich eine weitere, doch substanzielle Gewichtszunahme auch nach Woche 96. Am ausgeprägtesten war dies bei afrikanischen Frauen, die DTG+FTC/TAF erhielten (siehe Tab.1). Die Gewichtszunahme war dabei vor allem durch eine Zunahme an Fettgewebe, verteilt auf Extremitäten und Rumpf, bedingt (siehe Abb.1).

Tab. 1: ADVANCE-Studie: Analysen zu Woche 46. Mittlere Gewichtszunahme nach Geschlecht (adaptiert nach 1)

Abb. 1: ADVANCE-Studie: Änderungen der Körperzusammensetzung zu Woche 96 (adaptiert nach 1)
Es ist jedoch eine schwierige Angelegenheit, die Gewichtszunahme bei Therapienaiven unter unterschiedlichen antiretroviralen Substanzen zu beurteilen und zu differenzieren (siehe „Return to health“-Phänomen), und es bedarf deshalb weiterer, genauer Analysen.
NAMSAL-Studie (ANRS 12313)
Dr. Charles Kouanfack von der Universität Dschang berichteter von dieser in Kooperation mit der französischen nationalen Wissenschaftsagentur (ANRS) in Kamerun durchgeführten Untersuchung.2 Im Rahmen der NAMSAL-Studie wurden 616 therapienaive erwachsene Personen auf DTG/TDF/3TC versus EFV/TDF/3TC randomisiert. Abgesehen vom Fehlen eines TAF-Armes und der Verwendung von Lamivudin (3TC) statt Emtricitabin (FTC) war der größte Unterschied zu ADVANCE die Verwendung von nur 400mg Efavirenz im entsprechenden Arm. Auch hier waren verhältnismäßig viele Frauen inkludiert, zwei Drittel der Studienpopulation waren weiblich. Das mediane Alter lag bei 36 Jahren, die mediane CD4-Zellzahl war mit 281 Zellen/ml niedriger und die Viruslast deutlich höher: Die mediane HIV-1-RNA lag bei 5,3 log 10 Kopien/ml, dementsprechend hatten knapp über 30% eine HIV-1-RNA von weniger als 500 000 Kopien/ml vor Therapiebeginn.
Die Ansprechraten, d.h. HIV-1-RNA <50 Kopien/ml, waren wie folgt: 74% unter DTG+TDF/3TC, respektive 72% unter EFV+TDF/3TC.
Auch hier persistierte die Gewichtszunahme bis Woche 96, sie lag bei +6kg bei den Studienteilnehmern mit Dolutegravir und +4kg bei denen, die Efavirenz erhielten. Außerdem war die Gewichtszunahme bei Frauen wiederum ausgeprägter als bei Männern. Eine Gewichtszunahme von mehr als 10% des Ausgangsgewichtes fand sich zu Woche 48 bei 38% im Dolutegravir-Arm und erhöhte sich auf 45% zu Woche 96. Im Efavirenz-Arm lagen diese Anteile bei 29% respektive 33%.
Implikationen
Wir müssen uns überlegen, welche Implikationen eine Gewichtszunahme hat. Ein höherer BMI ist mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Diabetes assoziiert. In diesen wie auch in anderen Studien konnte also eine Gewichtszunahme bei der Gabe eines INSTI der zweiten Generation gezeigt werden. Dass bei der Beurteilung eines ART-Regimes v.a. bei Therapienaiven etwaige Nebenwirkungen einen großen Anteil haben, zeigte eine bei der CROI 2020 vorgestellte Untersuchung: In dieser ADVANCE-Subanalyse wurde die Gewichtszunahme unter EFV nach Vorhandensein des EFV-Abbauenzyms Cytochrom P450 2B6 differenziert.3 Handelte es sich um Personen mit einem Genotyp für einen langsamen Abbau von EFV („Langsammetabolisierer“), waren die ZNS-Nebenwirkungen ausgeprägt und die Gewichtszunahme war gering. Personen mit einem raschen Abbau und dementsprechend weniger Nebenwirkungen hatten offensichtlich mehr Appetit und zeigten auch unter EFV eine doch beträchtliche Gewichtszunahme.
Schlussfolgerungen
Da bei Studien mit Therapienaiven viele Probleme in der Beurteilung der Gewichtszunahme bestehen, müssen speziell geplante Switch-Studien folgen, die sich dieser Frage annehmen. Hier müsste auch der Anteil adipöser Patienten bestimmt werden, die von einem normalen Gewicht ausgehen.
Für unsere klinische Praxis bedeutet das, dass wir besonderes Augenmerk darauf legen, das Gewicht bei jedem Patientenkontakt genau zu erheben und auch jegliche Gewichtszunahme sorgfältig zu dokumentieren. Wir müssen also auf Gewichtsänderungen achten. Es gilt diejenigen Patienten zu identifizieren, die eine besonders ausgeprägte Gewichtszunahme zeigen, und dem frühzeitig entgegenzusteuern: durch entsprechende diätetische Maßnahmen und körperliche Aktivität. Manchmal wird auch ein Wechsel der antiretroviralen Therapie in Betracht zu ziehen sein. Aus Fairness muss jedoch gesagt werden, dass es bislang keine Studie gibt, die gezeigt hat, dass ein Switch von einem Regime, das mit Gewichtszunahme assoziiert ist, hin zu einem anderen Regime auch wieder zu einer Gewichtsabnahme geführt hat.
Literatur:
1 Sokhela S et al.: The ADVANCE trial: Phase 3, randomised comparison of TAF/FTC+DTG, TDF/FTC+DTG or TDF/FTC/EFV for first-line treatment of HIV-1 infection. 23rd International Aids Conference 2020; abstract OAXLB0104 2 Kouanfack C et al.: Dolutegravir- versus low-dose Efavirenz-based regimen for the initial treatment of HIV-1 infection in Cameroon: Week 96 results of the ANRS 12313 – NAMSAL trial. 23rd International Aids Conference 2020; abstract OAB0402 3 Griesel R et al.: CYP2B6 genotype and weight-gain differences between Dolutegravir and Efavirenz. CROI 2020; abstract 82
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