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Jubiläumsbeitrag

20 Jahre Therapie des Lungenkarzinoms

Das Lungenkarzinom zählt weltweit zu den häufigsten Karzinomen, mit weiterhin steigender Inzidenz. Jährlich erkranken derzeit 2,1 Millionen und 1,8 Millionen sterben daran. Trotz Fortschritten in der Diagnose und Therapie bleibt die Primärprävention der wichtigste Faktor in der Bekämpfung des Lungenkarzinoms.

Das Lungenkarzinom betrifft 30% aller Krebstodesfälle beim Mann und ist in manchen Ländern auch bei Frauen bereits die häufigste Krebstodesursache. In einigen westlichen Ländern kommt es bei Männern zu einer Abnahme der Inzidenz und Mortalität. In Europa treten etwa 85% und weltweit ca. 70% der Lungenkarzinome bei Rauchern bzw. Exrauchern auf, wobei jeder 5. bis 10. Raucher erkrankt.

Primärprävention und Früherkennung

Das Tabakrauchen ist der bei Weitem wichtigste Risikofaktor für das Lungenkarzinom. Die Primärprävention ist somit entscheidend und auch wirksam, wie zum Beispiel in einer UK-Studie eindrucksvoll gezeigt werden konnte (Abb. 1). Details zur Primärprävention finden sich in WHO Framework Convention on Tobacco Control ( https://fctc.who.int ) und den MPOWER-Maßnahmen. Die seit Jahren laufenden Maßnahmen zur Tabakkontrolle müssen allerdings verstärkt umgesetzt und auch noch erweitert werden.

Abb. 1: Vorteile eines Rauchstopps: „United Kingdom Million Women Study“ (modifiziert nach Jha P, Peto R: N Engl J Med 2014; 370: 60-8)

Das Screening starker Raucher oder Exraucher mittels Niedrig-Dosis-CT führte sowohlin einer amerikanischen (NLST) als auch in einer europäischen Studie (NELSON) zu einer Senkung der Lungenkrebssterblichkeit. Die Früherkennung mittels Niedrig-Dosis-CT sollte deshalb bei starken Rauchern oder Exrauchern implementiert werden, wobei dies vorerst in entsprechend ausgestatteten Lungenkrebszentren erfolgen sollte.

Kleinzelliges Lungenkarzinom

Die systemische Chemotherapie des kleinzelligen Lungenkarzinoms ist seit Jahrzehnten etabliert. Als Therapieschemata sind Cyclophosphamid/Adriamycin/Vincristin (CAV) und seit Jahren vorwiegend Platin plus Etoposid im Einsatz. Die Erstlinienchemotherapie in Kombination mit einem Immuncheckpoint-Inhibitor (Atezolizumab,Pembrolizumab) führte zuletzt im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie zu einer Verlängerung des Überlebens der Patienten mit extensiver Erkrankung und gilt somit als neuer Standard für diese Patienten.

Topotecan ist seit 2006 als Standardzweitlinientherapie etabliert, nachdem es in einerPhase-III-Studie im Vergleich zu rein supportiver Therapie eine Verlängerung der Überlebenszeiten der Patienten bewirkt hatte.

Therapeutische Fortschritte betrafen auch die thorakale Strahlentherapie bei limitierter Erkrankung. Die prophylaktische Ganzhirnbestrahlung (PCI) galt ebenfalls für viele Jahre als Standard bei Patienten, bei denen die Erstlinientherapie zu einer kompletten oder zumindest guten partiellen Remission geführt hatte. Eine japanische Studie zeigte zuletzt allerdings keinen Überlebensvorteil für die PCI bei Patienten mit unauffälligem MR-Befund des Gehirns vor Beginn der PCI und stellte die generelle Notwendigkeit der PCI wiederum infrage.

Nichtkleinzelliges Lungenkarzinom

Das nichtkleinzellige Lungenkarzinom (NSCLC) umfasst derzeit bis zu 80% aller Lungenkarzinome und erfordert inzwischen molekulare Analysen im Rahmen der Diagnose. Tumorstadium, Allgemeinzustand und Begleitkrankheiten der Patienten beeinflussen sowohl Prognose als auch Therapie.

Metastasiertes NSCLC

Die systemische Chemotherapie des nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms ist seit mehr als drei Jahrzehnten etabliert. Fortschritte ergaben sich durch die Zytostatika der 3. Generation aufgrund höherer Aktivität und/oder besserer Verträglichkeit. Die Therapie erfolgte über viele Jahre mit einer platinhältigen Zweierkombination, wobei Cisplatin-hältige Protokolle eine etwas bessere Wirksamkeit als Carboplatin-hältige Protokolle haben. Die Therapie steigert die Einjahresüberlebensrate um 10% und lindert tumorbedingte Symptome bei etwa der Hälfte der symptomatischen Patienten.

Entscheidende Fortschritte konnten durch monoklonale Antikörper, Immuncheckpoint-Inhibitoren und die Tyrosinkinase-Inhibitoren erzielt werden. Bevacizumab kommt bei Patienten mit Adenokarzinomen und Necitumumab bei Patienten mit Plattenepithelkarzinomen in Kombination mit Erstlinienchemotherapie zum Einsatz. Die Erstlinientherapie erfolgt derzeit mit einem Platin-hältigen Doublet in Kombination mit einem Immuncheckpoint-Inhibitor (z.B. Atezolizumab, Pembrolizumab). Innerhalb von Studien werden vor allem neue Modulatoren des Immunsystems untersucht.

Die Charakterisierung von Treibermutationen (EGFR-Mutation, ALK-Translokationen, ROS1, BRAF-Mutationen) und die Etablierung der entsprechenden Tyrosinkinase-Inhibitoren als neuer Therapiestandard für Patienten mit diesen Mutationen waren entscheidende Fortschritte. Die Tyrosinkinase-Inhibitoren führten im Vergleich zur Erstlinienchemotherapie zu einer deutlichen Verlängerung des progressionsfreien Überlebens der Patienten.

Zum Zeitpunkt der Progression stehen weitere Medikamente (Docetaxel, Pemetrexed, Ramucirumab, Nintedanib) zur Verfügung.

Lokal fortgeschrittenes NSCLC

Patienten mit lokal fortgeschrittenem NSCLC und gutem Allgemeinzustand erhalten eine multimodale Therapie, wobei das detaillierte Vorgehen im Rahmen multidisziplinärer Tumorboards festgelegt werden sollte.

Die Operation ist entweder primär oder im Anschluss an eine Induktionstherapie bei selektionierten Patienten indiziert. Primär operierte Patienten erhalten im Anschluss an die komplette Tumorresektion eine adjuvante Chemotherapie.

Seit vielen Jahren ist die Chemoradiotherapie für Patienten mit gutem Allgemeinzustand als Standard etabliert, wobei das simultane Vorgehen zu etwas besseren Ergebnissen führt. Vor Kurzem konnte die Konsolidierungstherapie mit Durvalumab als neuer Standard etabliert werden, nachdem diese in der PACIFIC-Studie eine Verlängerung des Gesamtüberlebens der Patienten mit zumindest stabiler Erkrankung nach Abschluss der Chemoradiotherapie bewirkt hatte.

Operables NSCLC

Die primäre Operation erfolgt bei etwa 25–30% der Patienten mit NSCLC. Einer der therapeutischen Meilensteine war die Etablierung der adjuvanten Chemotherapie bei Patienten mit komplett resezierten Karzinomen.

Die Patienten in den Tumorstadien II–III erhalten vier Zyklen eines Cisplatin-hältigen Doublets, aufgrund der Studienlage bevorzugt Cisplatin plus Vinorelbin. Durch eine Therapie mit Cisplatin plus Vinorelbin konnte die Fünfjahresüberlebensrate gemäß einer Subgruppenanalyse der LACE-Metaanalyse randomisierter Studien von 46% auf 55% gesteigert werden (Douillard JY et al.: J Thorax Oncol 2010; 5[2]: 220-8). Ein klinisch einsetzbarer prädiktiver Marker für die Patientenselektion hinsichtlich einer adjuvanten Chemotherapie konnte trotz intensiver Untersuchungen (IALT-Bio, LACE-Bio, ITACA-Studie) bisher noch nicht charakterisiert werden.

Derzeit wird die adjuvante Chemotherapie in Kombination mit einem Immuncheckpoint-Inhibitor in mehreren Phase-III-Studien untersucht (Tab. 1). In einer Interimsanalyse der IMpower010-Studie konnte eine Verlängerung des krankheitsfreien Überlebens bei Patienten in den Stadien II–IIIA mit PD-L1-Expression ≥1% und bei jenen in den Stadien II–IIIA, nicht jedoch in der ITT-Population (IB–IIIA) nachgewiesen werden. Bezüglich des Gesamtüberlebens sind die Daten noch zu unreif.

Tab. 1: Studien zur adjuvanten Therapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren beim resezierten NSCLC

Patienten mit im Tumor nachgewiesenen EGFR-Mutationen erhalten im Anschluss an die adjuvante Chemotherapie den Tyrosinkinase-Inhibitor Osimertinib, welcher in der ADAURA-Studie das krankheitsfreie Intervall im Vergleich zu Placebo deutlich verlängerte.

Die präoperative Chemotherapie verlängerte das Überleben der Patienten gemäß einer Metaanalyse randomisierter Studien mit einer Hazard-Ratio von 0,87 (NSCLC Meta-analysis Collaborative Group: Lancet 2014; 383[9928]: 1561-71) und ist somit eine Option für selektionierte Patienten, insbesondere für jene mit grenzwertig resezierbaren Karzinomen. Derzeit wird die Induktionschemotherapie in Kombination mit einem Immuncheckpoint-Inhibitor in mehreren Phase-III-Studien untersucht. Inder CheckMate-816-Studie konnten eine Verlängerung des ereignisfreien Überlebens mit einer Hazard-Ratio von 0,63 und eine höhere Rate pathologisch kompletter Remissionen (24% vs. 2%) für Patienten in den Stadien IB–IIIA gezeigt werden (Forde PM et al.: N Engl J Med 2022; 386: 1973-85).

Fazit

In den letzten zwanzig Jahren wurdenwichtige Fortschritte in der Prävention, Diagnose und Therapie des Lungenkarzinoms erzielt. Dazu zählen vor allem die Früherkennung mittels Niedrig-Dosis-CT, die molekularen Analysen, die Etablierung der adjuvanten Therapie nach kompletter Resektion des NSCLC, die Tyrosinkinase-Inhibitoren und die Immuncheckpoint-Inhibitoren. Derzeit werden vor allem weitere immuntherapeutische Ansätze innerhalb von Studien untersucht. Es wird auch in Zukunft schrittweise zu weiteren therapeutischen Fortschritten kommen, doch eine Heilung der Mehrzahl der Patienten wird aufgrund der Komplexität des Lungenkarzinoms schwer zu erzielen sein. Die Primärprävention wird somit auch in Zukunft die wichtigste Maßnahme zur weltweiten Bekämpfung des Lungenkarzinoms bleiben.

beim Verfasser

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